LaserTag – "Ist da nicht Gewalt im Spiel?"

Mit jeder Generation beschwört das öffentliche Bewusstsein eine neue Gefahr herauf, die es zu unterbinden gelte, damit die Heranwachsenden keinen Schaden erlangen. War es früher der Rock'n Rolldurch den Jugendliche ausser Rand und Band geraten könnten oder die Flower Power Ideologie, die dem Kampfesmut entgegenwirken könne, wenn es das eigene Land zu verteidigen gelte; so ist das Thema heute die Zunahme von Gewalt. Es besteht die Sorge, Heranwachsende würden von radikalen Ideologien in den digitalen Medien beeinflusst. Man glaubt, dass "Killerspiele" zum Amoklauf inspirieren. Oder man behauptet, dass bestimmte Spiel- und Sportarten Aggressionen von Kindern und Jugendlichen fördern und diese dadurch zu Gewalttätigkeit verleiten.

Und schon wird der Jugendschutz aktiv. Das ist verständlich und richtig, denn seine Aufgabe ist es, mögliche Jugendgefährdungen im virtuellen und im öffentlichen Raum aufzuspüren und zu unterbinden. "Killerspiele" geraten auf den Index oder erhalten Altersbeschränkungen. Aggressive und gewaltverherrlichende Videos werden aus dem Netz verbannt. Auch die in den letzten Jahren entstandenen LaserTag Spiel- und Sportarenen werden in den Blick genommen und die Frage gestellt "Ist da nicht Gewalt im Spiel?"

LaserTag, so ist bei Wikipedia zu lesen, "ist ein Spiel, bei dem zwei oder mehrere Spieler versuchen, verschiedene Aufgaben auf einem speziellen Parcours oder in mehreren Räumen zu erfüllen. Generell ist das Spielprinzip vergleichbar mit Räuber und Gendarm." Dieses Spielprinzip ist bekannt, und zu ihm gibt es in jedem Kinderspielzeug-laden die passenden Akteure: Kasperl, Gretel, Wachtmeister und Räuber ... . Das Gute sucht das Schlechte, haut ihm eins über den Kopf und entfernt es aus dem öffentlichen Raum. Da fällt ein Vergleich mit LaserTag auf den ersten Blick zunächst einmal schwer, denn beim Räuber und Gendarm Spiel geht es nicht um das Ausleben von Aggression und Gewalt, sondern um den Sieg über das Böse.

Räuber und Gendarm ist aber auch ein altes Versteck-Fang-Spiel. Ein Spiel, bei dem die Partei der Gendarmen die Partei der Räuber bis zu einer vereinbarten Zeit einfangen muss, andernfalls erhalten die Räuber den Sieg. Gemeinsam ist beiden Spielformen die Zuordnung zur ethischen Kategorie des Guten. Und es bedarf der Anstrengung, braucht Mut, Kraft und Ausdauer, um letztlich doch den Sieg über das Böse zu erlangen. Im Verlauf der Jahrhunderte wurde diese Spielstruktur vielfach variiert. Wir spielten in unserer Kindheit Cowboy und Indianer. Das Besondere an dieser Variante ist die Möglichkeit des Perspektivwechsels. Je nach subjektiver Einstellung wechselt das Böse die Seite. Einmal sind es die Indianer, ein anderes Mal die Cowboys. Aber jedes Mal ist es der Kampf um das Gute, der zum Spielsieg führen und die Ordnung im öffentlichen Raum wiederherstellen soll.

Doch wer hat die Definitionsmacht darüber, was als das Böse angesehen wird? Beim Räuber, der in den Augen der Gesellschaft unerlaubt und böse handelt, fällt die Bewertung eindeutig aus. Anders verhält es sich beim Spiel um die Einwanderer nach Amerika. Je nach nationalistischer Einstellung, ethischer Grundhaltung, nach subjektiver Lebenserfahrung oder eingelerntem Wissen können hier die Zuschreibungen von Gut oder Böse variieren, denn die Kinder erspielen sich diese aufgrund ihres eigenen Eingebettetseins in die jeweiligen Sichtweisen der Erwachsenenwelt. Das Kinderspiel also lediglich ein Nachspiel zur Einübung in die Sichtweisen der Erwachsenenwelt?

Erinnert noch jemand den Film "Der Krieg der Knöpfe"? [1] Er spielt in Frankreich. Es geht dort um einen seit Ewigkeiten andauernde Streit zwischen den Bewohnern der Dörfer Longeverne und Velrans. Und wie die Erwachsenen so bekämpfen sich dort auch die Kinder dieser Nachbardörfer. Hierzu erfinden sie eine heimtückische 'Kriegslist'. Sie schneiden ihren ‘Gefangenen‘ die Knöpfe an den Lederhosen ab. Fazit und Lehre des Films ist jedoch, dass die Jugendlichen den Krieg von Erwachsenen sehr wohl als etwas Falsches erkennen und ihn einstellen, unabhängig davon, wie die Erwachsenenwelt hinter ihnen dazu steht.

Doch was hat das mit LaserTag zu tun, als einer Gefahr für die Jugend, wie sie die Gerichte und der Jugendschutz in Bayern gegenwärtig heraufzubeschwören versuchen? Um dies zu verstehen, kann es nützen, auf die Herkunft dieser Spielentwicklung zu verweisen. Die Lasertechnik wurde in den 70er Jahren erstmals von den US-Streitkräften genutzt, um im Gefechtstraining die Treffer zu simulieren und deren Genauigkeit zu berechnen. Unter Nutzung dieser Technik und angelehnt an den Film "Star Wars" [2] wurden in den 80er Jahren die ersten LaserTag-Arenen in den USA gegründet. Eine kommerzielle Spielidee also, die sich schnell über die Welt verbreitet und seit ca. 10 Jahren auch in Deutschland ihren Einzug gehalten hat. Ein Wettkampfspiel, bei dem sich zwei gegnerische Teams über ein Spielfeld verteilen, sich mit Geschick und taktischem Verhalten gegenseitig durch einen Infrarotstrahl markieren und so um das Erreichen der höchsten Punktzahl kämpfen. Ein Kriegsspiel also? Oder doch eher das alte Räuber und Gendarm Spiel mit gegenseitigem Abklatschen? Betrachtet man die Ausstattung der ersten Arenen aus den 80er Jahren und das zugehörige Equipment, so ist der ursprüngliche Kriegsspielcharakter eindeutig sichtbar und kann nicht ignoriert werden.

Heute ist LaserTag in Deutschland jedoch nicht mehr so einfach und ausschliesslich dem Genre des Kriegsspiels zuzuordnen. Zu viele neue Spielkonzepte wurden entwickelt und erprobt und an die Altersstufen der Spielenden angepasst. In den Bundesländern existieren mittlerweile futuristisch ausgestaltete Arenen neben märchenhaften Szenarien, schlichte einfache Arenen neben beeindruckende Spielzentren und das mit jeweils völlig unterschiedlichen Spielkonzepten, in denen zum Teil mit Mannschaften gegeneinander aber auch als ein Gesamtteam gespielt werden kann.

Dennoch wird gegenwärtig versucht, das Thema LaserTag verallgemeinernd als Kriegsspiel und damit als eine Gefahr für Kinder- und Jugendliche zu brandmarken. Das ist verständlich, wenn man ausschliesslich die ursprüngliche Konzeptidee zugrunde legt und diese mit der Sorge um diejenigen Jugendlichen verknüpft, die aufgrund von persönlichen Erlebnissen in ihrem Leben psychische Störungen aufweisen und jede Möglichkeit nutzen, ihre Aggressionen weiter hochzuschrauben oder nach einem Ventil suchen, um ihre innere Wut herauslassen zu können. Aber ist es angemessen, ausschliesslich eine möglicherweise hilflose Art der 'Selbsttherapie' vereinzelter Jugendlicher, die sich in schwierigen persönlichen Situationen befinden, zur Bewertung einer Spiel- und Sportart heranzuziehen und dabei nicht einzubeziehen, dass die Mehrheit der Spielenden LaserTag für sich ganz anderes bewertet?

Vielleicht haben sich ja die heutigen Variationen zu einer Spielart weiterentwickelt, die nicht nur Freude, Spaß und Spiel in einem Gruppengeschehen ermöglicht und bei der man sich zusätzlich noch sportlich derart intensiv betätigen muss, dass gerade der Alltags-Stress und/oder die Aggressionen nicht - wie zugeschrieben - aufgebaut, sondern ganz im Gegenteil sogar abgebaut wird? Vielleicht sollte hier noch genauer hingeschaut werden und nicht aufgrund mangelnder empirischer Ergebnisse und veralteter Erkenntnisse Urteile gefällt werden, die auf die heutige Alltagsrealität überhaupt nicht mehr zutreffen?

Wo sind eigentlich die Bewertungen durch die Spielenden selbst in die juristischen Begründungen eingegangen? Oder wurde hier einfach nur über sie hinweg entschieden? Wir haben uns umgesehen und über hundert Spielende zu LaserTag befragt. Sie haben unsere Einschätzung bestätigt, dass die Beschreibung von LaserTag als einem Kriegsspiel eher eine Projektionsfläche zur Kanalisierung von Erwachsenenängste abgibt, als dass sie das reale Erleben in dieser Spielart nur annähernd trifft und beschreibt [3].

Vielleicht wäre es sinnvoll, nicht hinter jedem Spiel gleich Kriegsgelüst oder Gewaltbereitschaft von Jugendlichen zu vermuten, sondern erst einmal die in diesem Zusammenhang zu stellenden ethischen Fragen neu und anders zu denken. Es hat seine historische Bedeutung und Berechtigung, gerade in Deutschland primär die Friedensbereitschaft unter den Jugendlichen zu fördern. Nur muss dann den Jugendlichen auch die Möglichkeit gegeben werden, für sich selbst und untereinander herauszufinden, wie sich sich dazu in der heutigen globalisierten Welt positionieren wollen.

Ihnen Möglichkeitsräume zu nehmen, in denen sie sich im spielerischen Wettkampf zu von ihnen gewählten Szenarien erproben können, entmündigt Jugendliche. Und es versperrt ihnen die Möglichkeit zum Wirklichkeitstransfer, der ja gerade in der Adoleszenzphase im geschützten Raum und in Peers ohne den mahnenden Zeigefinger der älteren Generation erfahren werden soll.[4] Sicherlich kann dies heutzutage im Jugendalter nicht mehr durch Kasperl und Schutzmann oder durch Cowboy und Indianer passieren, sondern mit Hilfe von zeitgemäßen Medien und Bildern, denn jede Generation erschafft sich ihre eigenen Phantasiewelten mit ihren eigenen Helden.

Wie anders sollen Jugendliche sonst zu Ergebnissen kommen, wie die Jungs von Longeverne und Velrans es ihnen vormachten? Sie haben weder durch den pädagogischen Zeigefinger noch durch Verbote ihr Verhältnis zur Gewalt für sich geklärt, sondern indem  sie in spielerischem Ernst die Erfahrung von Demütigung und auch körperlichem Schmerz selbst durchlebt haben. Und wir wissen es doch seit Jahrzehnten: nur so kann man für sich und in der eigenen Gruppe zu einer eigenen ethisch positiven Entscheidung kommen.

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt und Gefahr ist eine wichtige Errungenschaft in unserer Zeit und kann nicht hoch genug bewertet werden. Dieser darf allerdings nicht dazu beitragen, dass vor lauter Sorge eindimensionale Blicke ausschliesslich auf die möglichen Gefahren geworfen werden und dabei mögliche Chancen, die sich gleichfalls bieten, einfach auszublenden. Ist es nicht zu einfach, die Ängste aus der Erwachsenenwelt auf ein Spielgenre zu übertragen? Wird da nicht von den eigentlichen Ursachen der Gewalt nur abgelenkt? Die jüngsten Gewalttaten von Jugendlichen weisen doch eindeutig darauf hin, dass hier ein mehrdimensionaler Blick angesagt ist.


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1 Er basiert auf dem gleichnamigen Roman von Louis Pergaud aus demJahr 1912.
2 Star Wars Filme: http://de.starwars.com/filme
3 Befragung von über einhundert LaserTag Spielenden zu ihrer Einschätzung zum Spiel und zum Thema Gewalt. Erscheint demnächst.
4 Im Sozialgesetzbuch (SGB VIII) ist verankert, dass Kindern und Jugendlichen Angebote zur Verfügung gestellt werden sollen, die an ihren Interessen anknüpfen, von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden sollen, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung .... hinführen sollen. Offensichtlich ist dies in den letzten Jahren immer weniger gelungen, aus welchen Gründen auch immer. Die Jugendzentren sind leer. In diese Lücke sind die private Betreiber gestossen. Sinnvoll könnte es sein, letztere nicht nur dem kritischen Blick zu unterziehen, sondern gemeinsam zu überlegen, ob durch Kooperation und gegenseitiger Verknüpfungen neue Impulse in der Kinder- und Jugendarbeit entstehen können, die mithelfen, mehr Jugendliche aus der Vereinzelung zu führen und/oder sie von der - virtuellen und realen – Strasse zurückzuholen.