Eine Frau kämpft – "Mein Sohn will nach Syrien!" – Teil 2

Du hast von Deiner Wut gesprochen, als Du die Entwicklung Deines Sohnes, hin zum religiösen Extremismus erkannt hast. Auf was warst Du so wütend?

Erstmal auf die Religion und natürlich auf diese Moschee. In ihr ist übrigens auch ein deutscher Imam. Und das machte mich noch wütender. Wir als die gebürtigen Moslems waren für die nicht religiös genug! Und ein Deutscher muss meinen Sohn auf die schiefe Bahn leiten! Ich hab gedacht, wieso kann der mehr Macht haben als ich, als seine Mutter, ich mit meiner vielen Liebe? Und das hat mich besonders wütend gemacht, weil der glaubte, meinen Sohn eher leiten zu können, als ich das konnte. Und ich habe natürlich auch Angst gehabt, dass mein Sohn alles hinschmeisst und wirklich ausreist. Aber Vorwürfe habe ich ihm eigentlich nie gemacht. Ich bin ganz offen damit umgegangen, nicht nur ihm gegenüber. Alle, die es wissen wollten, denen habe ich es erzählt und ihnen gesagt, passt auf eure Kinder auf! Dabei bin ich natürlich auch sehr viel angeeckt und habe auch viel Diskriminierung erfahren. Manche haben sogar die Strassenseite gewechselt, wenn sie mich sahen, weil ich ja jetzt die 'Salafistenmutter' war.

Das heisst Du hast es selbst öffentlich gemacht in Deinem Bekanntenkreis?

Ja klar, überall Schule, Verwandtschaft, Freunde ...

Wie hast Du das gemacht?

Naja, er kam ja auch oft seine kleine Schwester von der Schule abholen. Und da hat man mich dann mal gefragt, was denn mit ihm los sei, sein Bart und sein sonstiges Aussehen. Und da hab ich schon geantwortet, ja das stimmt. Und dann wussten sie Bescheid.

Stimmt, Du hast von der Veränderung seines Äußeren berichtet, klar dass das dann auch aufgefallen ist.

Ja und da hab ich dann gesagt er sei im Moment auf einer schiefen Bahn und ich hätte einen Kampf mit meinem Kind, er verleugne uns, und er verachte mich. Das hat er dann ja auch gesagt, ich bin 'ne komische Mutter und nicht wie ein Moslem, sondern wie ein Christ, also aus seiner Sicht nichtgläubig und Nichtgläubige könne man töten. Und eine Zeitlang hab ich auch wirklich darüber nachgedacht, ob er auch mir etwas antun könnte.

Was hast Du ihm denn in solchen Situationen geantwortet?

Ich? Ich bin in die Küche gegangen, hab ein Messer geholt und hab gesagt DA BITTE!
Ja, ich war wirklich richtig krass. Aber wie sollte ich denn sonst mit ihm umgehen? Mit gut zureden war da ja irgendwann nix mehr. Es war irgendwie als käme er mit einem Koffer voller Argumente nach Hause: Wenn Mutter das sagt, dann musst du so argumentieren, wenn Vater das sagt, dann musst Du damit argumentieren ... Das waren niemals seine eigenen Worte. Und einmal – mein Mann hatte noch niemals die Hand gegen ihn erhoben – einmal, als er uns wieder einmal die Scharia schmackhaft machen wollte und mich dann wieder so beleidigt hat und mir Vorwürfe gemacht hat, da hat er ihn verprügelt, aber wie! Und das vor meinen Augen. Das war für ihn wirklich entwürdigend. "Du willst die Scharia, mein Sohn", hat er ihn angeschrien, "dann fühle mal, wie sie dir schmeckt." Und dann hat er ihn rausgeschmissen, mein Mann. Das ist dann eskaliert, und dabei sind sogar einige Möbel kaputt gegangen. Die Scherben sind in der Wohnung rumgeflogen. Fenster, Balkontür kaputt ... Ja, alles zerschlagen!

Was hat er dann gemacht, als er bei Euch rausgeflogen ist?

Er ist zu einem Arbeitskollegen und hat dort mit in dessen Wohngemeinschaft gewohnt. Aber ich habe mich sehr unwohl gefühlt, weil er jetzt weg war, und ich nicht wusste, was er jetzt macht. Und dann, als ich gar nicht mehr konnte, da hab ich mir einfach Hilfe geholt.

Hilfe? Woher hast Du die bekommen?
Ich bin zur Polizei gegangen und habe erzählt, was ich wusste.

Das war sicher keine einfache Entscheidung. Was wolltest Du von der Polizei, und wie ist man dort mit Dir umgegangen?

Ich hoffte, dass sie mir Wege zeigen, wie ich mit meinem Kind umgehen soll. Ich wollte nicht, dass es immer mehr ausartet und sie ihn vielleicht irgendwann mal einsperren. Es gab dort Leute, die sind auf so etwas spezialisiert. Die haben mir Tips gegeben, wie ich mich verhalten soll. Und ich habe der Polizei eigentlich auch nur gesagt, welche Sorgen ich habe. Mehr musste ich gar nicht erzählen, die wussten selbst schon alles. Von ihnen habe ich eigentlich auch erfahren, wie es in der Moschee zugeht, dass dort versucht wird, ein ganz enges Gemeinschaftsverhältnis entstehen zu lassen, damit die Jugendlichen immer mehr an sie gebunden werden. Die Polizei hat mir Details gesagt, und da habe ich gesehen, dass die mir wirklich helfen und mir nicht schaden wollen. Das hat mir gut getan, und ich habe Vertrauen entwickelt. Ich hab dann auch andere Mütter gewarnt, von denen ich wusste, dass mein Sohn mit deren Kindern herumgezogen ist.

Du dachtest erst, dass diese staatlichen Stellen Dir eventuell schaden können?

Naja, weil ich das doch mein Leben lang so erlebt und gefühlt habe. Eigentlich überall, von der Grundschule bis ins Gymnasium und bei der Berufsausbildung, immer habe ich diese Selektion erlebt, hier die und da ich, "die Andere". Egal, wie "integriert" ich mich auch verhalten habe.

Du hast im Grunde schlechte Erfahrungen mit Behörden gemacht und hast Dich dann aber doch an sie gewandt? Da muss Deine Verzweiflung groß gewesen sein.

Ja total schlechte Erfahrungen! Zum Beispiel als ich eine Wohnung gesucht habe, da hat sich der Beamte noch nicht mal nach mir umgedreht und hat lediglich gefragt, ob ich wüsste, wie viele gerade eine Wohnung suchen, und zuerst würden die Deutschen eine bekommen, und dann kommt "ihr". Solche Aussagen musste ich mir anhören. Und zwar oft. Und immer wurde ich geduzt, egal, wie alt ich geworden war. Also, ich habe ein absolutes Misstrauen den deutschen Behörden gegenüber. Aber es war auch umgekehrt, dass ich einstecken musste. Entweder heisst es, oh, du bist aber verdeutscht, oder es heisst, Sie sprechen aber gut Deutsch. Beides ist irgendwie ausschliessend und diskriminierend. Das macht einen auf Dauer misstrauisch den Menschen gegenüber.
Genau das hat mein Kind aber auch erlebt! Ich selbst konnte damit ganz gut umgehen. Ich habe früh gelernt, dass ich immer mehr tun musste, als die anderen. Und meinen Kindern habe ich auch immer beigebracht, man kann noch so integriert ein, man kann deutsche Freunde haben, aber glaubt ja nicht, dass man dazugehört.
Und die Kinder haben ja auch gesehen, welche Erfahrungen ich gemacht habe in meinem Leben. Einiges haben sie sicher mitgekriegt. Und ich denke – und das ist auch der wunde Punkt bei meinem Sohn – diese Selektion haben sie auch erfahren, und zwar noch schlimmer als ich. Und das hat ihn so angewidert, das kam dann später immer mehr raus, in seinen radikalen Sätzen, wie "so gehen die deutschen Christen mit uns um". Er hat sich richtig ein religiöses Feindbild geschaffen.
Aber man kann gegen Diskriminierung auch Strategien entwickeln und sich dadurch auch für das Leben stärken. Man kriegt das Leben nicht auf einem Silbertablett serviert, man muss immer kämpfen. Immer! Und wenn dann etwas gelungen ist, es es umso schöner.

Ja, aber es gibt eben auch die andere Strategie, die der Abschottung und der Kultivierung des Hasses gegen die dominanten Strukturen so dass man so eben solch einen Hass bekommt und ihn so auslebt wie Dein Sohn.

Ja, seine Strategie war es, sich so ein Feindbild zu schaffen. Das waren die Christen, die Ungläubigen und gegen die könne man laut der islamistischen Ideologie nicht nur etwas tun, sondern gegen die müsse man etwas tun, nämlich diesen von der Ideologie vorgeschriebenen Kampf gegen die Ungläubigen auch wirklich führen.

Lass uns noch einmal zurückgehen zu den Hilfen, die Du Dir geholt hast. Wieso bist Du überhaupt auf die Idee gekommen, Dir Hilfe zu holen.

Naja, ich hab gedacht, ich habe keine Möglichkeit mehr, keine Macht mehr über mein Kind. Und ich hab Angst gehabt.

Hast Du nicht erst versucht, mit der Familie und den Verwandten zu reden?

Klar hab ich das, habe sie alle zusammengetrommelt, sogar die Freunde. Aber das hat ja überhaupt nix gebracht. Egal was die geredet haben, er hat niemanden mehr respektiert.

Habt ihr das alle zusammen gemacht?

Jaja, jeder für sich und alle zusammen. Der Bruder meines Mannes hat ihn zur Brust genommen und hat ihm gesagt, das gehe so nicht, er könne sich Vater und Mutter gegenüber nicht so beleidigend verhalten. Aber er hat nur geantwortet, er hätte ihm gar nix zu sagen.

Habt ihr auch so eine Art Familienrat abgehalten?

Klar, haben wir, und zwar nicht nur einmal. Der Bruder meines Mannes, der der Älteste ist und der auch mit unserer Familie am meisten befreundet ist, selbst den hat er beleidigt und ihm vorgeworfen, er hätte sich von den Deutschen den Kopf verdrehen lassen.

Und wie sind die Verwandten mit diesem Verhalten umgegangen?

Hilflos. Sehr hilflos. Weil es war ja einfach auch nichts zum Anfassen da. Er hatte ja kein Auto geklaut oder so, sondern es war halt einfach sein Denken und Verhalten und dass ich das in der Familie erzählt habe, es öffentlich gemacht habe. Und da haben sie dann halt alle gesagt, so geht das nicht, und sie hätte da schon auch ein Mitspracherecht ihm gegenüber. Das hat ihn übrigens erschreckt, als sie das gesagt haben.

Wieso hat ihn das erschreckt, das ist doch eigentlich in den Familien so. Oder?

Natürlich ist das so. Aber in der Situation war er nicht darauf vorbereitet. Er hatte keine Strategie, wie er damit umgehen wollte, und man hatte mit ihm halt wohl auch nicht über eine solche Situation geredet, was man macht, wenn plötzlich die geballte Verwandtschaft gegen einen auftritt.

Und was hat er in dieser Situation gemacht?

Er hat sich verdrückt, ist zu seinem Arbeitskollegen abgehauen. Aber während des Gespräches ist damals dann auch rausgekommen, wie genau er das im Kopf schon alles geplant hatte, und dass er weggehen wollte.

Und Du hattest dann erstmal gar keinen Kontakt zu ihm, als er weg war?

Nee, gar keinen.

Und wie hast Du das ausgehalten?

Gar nicht. Aber ich hab auch immer wieder über Freunde und Bekannte erfahren, was los ist. Hier kennt ja jeder jeden, und man kann eigentlich nix Unbeobachtes machen. Und ich bin dann oft auch heimlich zur Moschee gefahren und hab geguckt, ob ich ihn sehe. Die ganze Nacht habe ich davor gestanden in meinem Auto.

Hast Du ihn denn dann auch gesehen?

Ja.

Und?

Nix und. Ich hab da die Nacht gesessen und hab geheult. Ich konnte ja nichts machen. Freunde haben mir damals gesagt, ich sollte wegziehen mit der Familie. Aber was soll das? Dann geht er halt in die nächste Moschee, die gibt’s doch überall. Ich hab dann auch versucht, mit denen in der Moschee zu reden. Aber das ging überhaupt nicht, die haben mich noch nicht einmal reingelassen. Ach, das war eine Geschichte, die erzähle ich jetzt besser nicht! Das war eine harte Zeit, über die bin ich bis heute nicht weggekommen, damit bin ich immer noch nicht fertig.

Das heisst Du hattest dann wirklich keinen Kontakt zu ihm, hast ihn nur über diese Heimlichkeiten gesehen?

Ja. Aber irgendwann ging das halt nicht mehr, und ich bin dann eben zur Polizei gegangen.

Und was haben die Dir damals geraten?


Naja, ich soll die Finger davon lassen und mich zurück halten. Aber ich habe so eine Wut gekriegt, dass ich mich selbst radikalisiert habe. Ich bin da raus und war so wütend. Ich hatte auf einmal solch eine Kraft und hab gedacht, jetzt oder nie, entweder nehmen die mir mein Kind jetzt weg, oder ich muss was machen. Ich hab alles öffentlich gemacht, und ich hab getobt und geschrien. Das erzähle ich jetzt lieber auch nicht. Aber es hat wohl gewirkt.

Wie, es hat gewirkt?

Naja, ich denke heute, so durchgedrehte Mütter, die sind halt doch störend, das ist dann doch aufallend, wenn da jemand so vor ihnen rumtobt. Da kann man dann halt nicht so in aller Stille rekrutieren. Und dann haben sie wohl meinem Sohn gesagt, er solle seine Mutter in Schach halten. Ich hab ja nicht nur vor der Moschee gestanden, ich hab mich ja auch lautstark bei Demonstrationen gegen die in die erste Reihe gestellt und getobt!

Allein?!

Ja, allein.

Hast Du niemandem Bescheid gesagt, was Du da machst?

Nein. Niemandem. Auch meinem Mann nicht, die hätten mich ja doch nur daran gehindert. Aber es hat wohl gewirkt, denn dann kamen die Anrufe. Anonym und wieder aufgelegt. Und immer wieder. Solche Angstmacherei. Ja, und dann kam auch irgendwann mein Sohn wieder und meinte, ich solle mich da raus halten, er werde da nicht mehr hingehen. Und dann hat es mit den anonymen Anrufen auch aufgehört. Heute glaube ich, ich habe die so provoziert, dass sie meinem Sohn gesagt haben, geh nach Hause und halte bitte deine Mutter in Schach. Aber als er dann wieder kam, da habe ich ihm ganz klar gesagt, jetzt entscheidest du dich. Entweder für deine Famile oder für diese andere Familie. Und wenn du denkst, die anderen sind deine neue Familie, dann bitte geh! Dann werde ich mich aber auch von dir verabschieden und möchte das dann auch offiziell machen. Dann geh und komm bitte nicht mehr wieder. Dann hast du uns alle verloren.

Das hast Du ihm gesagt?!


Ja, was sollte ich denn tun? Es war meine letzte Chance und ich hoffte, er liebt seine Familie und er bleibt.

(wird fortgesetzt)